Briefe 18./19. Jahrhundert
Brief aus Solothurn an den Schultheissen in Weittingen, 1842
Ein Herr Teufel beklagt sich wiederholt darüber, dass ihn seine Brüder in Erbschaftssachen hintergangen hätten. Er wendet sich an den Schultheissen seiner früheren Bürgergemeinde, um zu seinem Recht zu kommen. Interessanterweise glaubt er, mit einer gewissen Drohung gegen Ende des Briefes seinem Ziel näher zu kommen: "Herr Schultheiß ich bitte sie noch zum letzten mal wen sie nicht Hand anlegen daß ich mein Antheil soweit bekome so komm ich auf ihre Kosten in der Post nach Weittingen dan geht es nicht mehr so wie es gegangen ist."
Bemerkenswert ist der Briefumschlag, der eine Menge von Zahlen zeigt, alles Portoangaben der verschiedenen Poststellen (Briefmarken gab es schweizweit erst ab 1850).
Im Folgenden der transkribierte Text:
Stempel: Soleure …
Herrn Herrn Schmied
Schultheiß
In Weittingen
Oberamt Horb
Königreich Würtenberg
Solothurn den 13t Dezember 1842
Geehrtester Herr Schultheiß
Ich ersuche Sie noch einmal als ehmaliger
Bürger von Weittingen ich verlange mein
weniges Vermögen wo mir gehört nämlich
150 Gl (Gulden) den Zins berechnet a 5 Prozent bringt
mir vom März 23t 1836 bis jetzt Zins
43 Gl u 6 + (Kreuzer) zum Kapital berechnet 193 Gl 6 +
ich will es auf der Stelle haben den ich muß
die Gemeinde damit zahlen ich verlange
nur das meinige wo mir gehort man hat
mich schon lange genug betrogen mit meiner
wenigkeit wo mein rechtmäßiger Antheil ist
es ist wohl eine wahre Schande von meinen
Brüdern daß sie nicht einmal vermögen
mein Antheil heraus zu geben sie haben
mir ja nicht einmal eine Ehesteuer könne
geben wo ich mit meiner Frau zu Hause war
ich schäme mich nur vor meiner Frau
den wo ich zu Hause war 1832 gab ich dem Vater
5 Gl 20 + er hatte es mir versprochen bis auf Martini
wieder zurück zu geben mit meinem mütterlichen
Antheil, ich habe aber bis jetzt noch kein Heller
bekommen Sie können gut hausen mit meiner Sach
wo ich im Inventari hab müssen zahlen sie benützen
es sehr gut aber ungerechtes Gut thut kein Gut
den meine Frau verlangt ihre Uhr zurück wo
der Leo hat sie hat nur 3 Gl davon erhalten vom Leo
den sie hat 10 Gl 40 + für die Uhr bezahlt den sie ist
im Leo nichts schuldig meine Frau macht mir genug
Vorwürf sie hätte glaubt ich hätte ehrliche Brüder als
nur so Hrr Schultheiß ich weise ihnen mein Bruder
Leo an er soll sie für ihre Mühe wo sie meinetwegen
haben und für Briefen porto auslagen bezahlen zudem
hab ich vernehmen müßen daß man noch einige Schulden
soll für mich bezahlt haben ich nehme nicht an den ich
bin niemandem nichts schuldig man hat es mir beÿ
der Theilung schon machen zahlen man hat mich genug
betrogen, 1836 hab ich alles bezahlt wollen sie mir
vielleicht meine wenigkeit noch abstehlen ich hätte
seither können verlängeren ehe sie mir mein großes
Vermögen geschickt hätten, sie wollen nur mein
Schaden, indem ich schon so viel Geld für Briefe habe
müssen zahln letzte Wochen hab ich wieder 52 + für Briefe
bezahlt wen ich mehrere tausend Gl zu fordern
hätte könnte man mir nicht mehr kösten machen
seit 1832 bis jetzt 1842 hab ich schon beÿnahe 30 Gl
kösten müssen zahlen es ist wohl eine Schande
daß man ein Bruder wegen so kleinen
Vermögen so hintergeht und ihm zurück haltet
also hab ich im November 8 Gl an sie geschickt
für nach Landshut zu reisen wo man mir vorgab
ich verlange also genau Auskunft was man mit
gemacht hat, man möchte mich gewiß auch
hintergehen damit sie glauben mir alles
noch zu entreißen. Herr Schultheiß ich bitte
sie noch zum letzten mal wen sie nicht Hand
anlegen daß ich mein Antheil soweit bekome
so komm ich auf ihre Kosten in der Post
nach Weittingen dan geht es nicht mehr so wie
es gegangen ist, daß man wen ein Vater ist gestorben
die Theilung ist vertig wo man mich betrogen hat
sonst würde (ich das) Recht haben die Theilung zu stürzen
Höflichen Gruß Ich Ergebenst
Eusebius (?) Teufel
(Auto)biografische Texte
Im Folgenden ein Beispiel eines autobiografischen Textes - auf der Suche nach der Form.
Paul Ott
Herr Clematide
Herr Clematide war ein Mann, der von der Welt verschwunden ist, ohne eine Spur zu hinterlassen. Fast ohne Spur …
Ich bin ihm zu seinen Lebzeiten ein, zwei Mal begegnet, weil er eine kleine Einliegerwohnung im Bauernhaus meiner Grosseltern mütterlicherseits belegte, in der Obermühle, im thurgauischen Amriswil. Jenseits des Tenns, erreichbar über den offenen Laubengang im ersten Stock auf der Rückseite des Hauses. Aber es gab wohl noch einen direkten Zugang bei den ehemaligen Stallungen, neben dem Schweinekoben, wo sich schon länger keine Tiere mehr befanden, denn mein Grossvater hatte das Bauern aufgegeben und verdiente sein Geld als Gemeindearbeiter.
Ich weiss nicht mehr, wie Herr Clematide ausgesehen hat. Und so weit ich mich erinnere, konnte er nur wenig Deutsch. Ein einsamer Mann, von dem niemand wusste, womit er sich den ganzen Tag beschäftigte. Anfang der Siebzigerjahre ist er gestorben, wann genau, weiss ich nicht mehr. Damals war ich ein Teenager an der Kantonsschule St. Gallen, und wir hatten einen kuriosen Geschichtslehrer, einen schlaksigen älteren Mann, der die meisten belustigte, mich aber für sein Fach begeisterte.
Herr Clematide also verliess diese Welt ohne nennenswerten Besitz, der jemanden interessiert hätte. Verwandte waren keine bekannt. Also wurde das Wenige geräumt und weggeworfen. Ich kann mich nicht erinnern, ob ich zugegen war, jedenfalls behändigte ich eine unscheinbare Sammlung gebräunter Papiere. Ich besitze diese Dokumente des Alltagslebens heute noch.
Das interessanteste ist ein Dienstzeugnis aus dem Jahr 1934, signiert von einem Herrn Flückiger von der Gerberei und Schuhfabrik Arnold Löw A.-G. in Oberaach. Es besagt, dass Clematide Giovanni, der Vorname begegnet mir hier zum ersten Mal, am 28. Januar 1904 geboren wurde und sein Heimatort Pedavena im italienischen Venetien war. Am 8. April 1918 trat der 14jährige Junge wohl als ungelernter Arbeiter in die Firma ein und betätigte sich als Bodenledercontrolleur in der Stanzerei, bis er am 24. Juli 1934 «ausgetreten ist». «Der Austritt erfolgt infolge Mangel an Arbeit. Mit seinen Leistungen waren wir zufrieden.» Im Schuhfabrikanten Arnold Löw «hat der Tod» bereits 1932 «einem grossen Arbeiter und senkrechten Menschen sein Halt geboten», er kann also für den Mangel an Arbeit nicht verantwortlich gemacht werden. Denn der Nachruf im Thurgauer Jahrbuch von 1933 bescheinigt: «Ueber 700 Arbeitern und Angestellten hat er Brot geschafft, und dabei war er allen wohl ein strenger, aber gerechter Vorgesetzter. Er hat es verstanden, tüchtige Mitarbeiter heranzubilden; er war der Furchenpflug, der tief ins Erdreich ging, allen voran, wegbereitend vertrauengebend, weil selbst vorbildlicher Arbeiter.» Über die weitere Geschichte der Schuhfabrik Löw breite ich den Mantel des Schweigens.
Am 15. September 1931 noch scheint Herr Clematide voller Hoffnung gewesen zu sein, denn er kaufte für Fr. 40.- in der Mechanischen Bau- und Möbelschreinerei Aug. Edelmann in Hagenwil zwei Nussbaumsessel, der Betrag dankend quittiert mit «Frau Edelmann». Am 5. Oktober 1931 erstand er für Fr. 248.70, was beinahe einem Monatslohn entsprach, bei H. Brühlmann-Steinmann in Amriswil zwei Betten mit dem gesamten Inhalt. Das «Spezialgeschäft für prima Bettfedern und Flaum, Leinen- und Baumwollwaren, Woll- und Steppdecken» besorgte auch Aussteuer-Artikel, sodass davon auszugehen ist, dass sich Herr Clematide verheiraten wollte. Diese Annahme bestätigt ein Impfschein für einen Remo Clematide, geboren 1933, den man 1940 einer Schutzpockenimpfung unterzog und der um 1945 mit einigen Schulzahnklinikrechnungen zu Buche schlug. Die Frau mag eine Elda Clematide gewesen sein, die nur auf einem zerknitterten Briefumschlag aus dem Jahr 1942 Erwähnung findet, der aus Vicenza nach einem Umweg über die italienische Zensur an die Weinfelderstrasse in Amriswil gelangt ist, was auch als Adresse auf der Quittung für die Nussbaumsessel vermerkt ist.
1943, besagter Herr Clematide ist offenbar an die Grenzstrasse 2 umgezogen, erreicht ihn ein Schreiben der Ortsgemeinde Amriswil mit einer Feuerwehrpflichtersatzsteuer in der Höhe von Fr. 8.50, was nicht weiter erstaunlich wäre, wenn ihn die Gemeinde nicht mit «Johann» anreden würde.
Dann verwirren die Dokumente mehr, als sie enthüllen. Quittungen für die Kranken- und Unfallkasse Konkordia und die Sammlung für die Flüchtlingshilfe sind auf einen Celestino Clematide ausgestellt, ebenso wie die Quittung für den Zahnarzt E. Fröhlich – nomen est omen – aus Amriswil, der ihm für Fr. 10.-. vier Zähne gezogen und für weitere Fr. 80.- eine obere Gebissprothese aus Kautschuk gefertigt hat. Die Adresse lautet ebenfalls auf Grenzstrasse, allerdings auf die Nummer 89. Celestino Clematide hat der Gemeinde Amriswil Fr. 5.- überwiesen für den «Grasnutzen pro 1944 im Gebiet der alten Hammerswiler-Grube», worunter ich mir ehrlich gesagt wenig vorstellen kann, es sei denn, der Mann hätte Weidetiere besessen oder Heu für Kaninchen geerntet.
Noch verwirrender wird es, wenn 1945 Rechnungen für Schuhe aus besagter Fabrik Löw auf einen Herrn N. Clematide ausgestellt werden. Auch existieren für das Jahr 1945 ein paar namenlose Lohnzettel, aus denen hervorgeht, dass der Stundenlohn Fr. 1.35 betrug. Schuhe gab es für Fr. 15.- bis 20.-, ein paar Hosen für Fr. 12.50, ein Herrenhemd für Fr. 18.-, gekauft übrigens 1944 von Frau Clematide bei A. Oettli in Weinfelden, «Damenkonfektion und Strumpf-Reparaturen».
Völlig ungeklärt ist, weshalb «mein» Herr Clematide all diese verwirrenden Rechnungen und Quittungen aufbewahrt hat und welchen von den oben erwähnten Herren ich tatsächlich gekannt habe. Ich bin stets davon ausgegangen, dass es Giovanni, also Johann Clematide war, weil mich das Dienstzeugnis so beeindruckt hat. Es scheint eine Migrationsgeschichte zu erzählen, die mit dem Ersten Weltkrieg im Zusammenhang steht. Aber stimmt das auch? Der Junge hat ein halbes Jahr vor dem Ende des Krieges mit der Arbeit in der Schuhfabrik begonnen. Vielleicht war er nicht alleine in der Schweiz, sondern lebte mit der ganzen Familie schon länger in Amriswil.
Ich habe das Internet abgesucht und verschiedene Personen namens Clematide gefunden, alle in der Schweiz wohnhaft. Natürlich hätte ich fragen, jemanden kontaktieren, nachbessern können. Dann wäre eine andere Geschichte daraus entstanden, die der Familie Clematide gehört, aber nichts mehr mit meiner Erinnerung zu tun hat.
Vermischte Texte
Sophie Onufrowicz-Roth
Das Folgende sind alle Daten, die ich eruieren konnte:
Geboren als Johanna Josefa Antonia Roth von Bellach (24. 6. 1863 Solothurn – 29. 9. 1930 Biberist), später bekannt als Jenny Gysi-Roth. Sie war die Tochter von Peter Johannes Roth-Thomann. Sie lebte von 1891-99 in Zürich. Am 18. 1. 1891 heiratete sie den polnischen Arzt Wladislaus Napoleon Sigismund Onufrowicz (1854 Jenisejsku – 30. 3. 1899 Vernex-Montreux), der in Zürich arbeitete. Sie hatten eine gemeinsame Tochter: Marie Antoinette (* 20. 10. 1891). 1901 zog Jenny nach Bern, wo sie Oskar Gysi heiratete.
Jenny Roth hat die Kunstgewerbeschule in Genf und die Kunstschule in Basel besucht und ihre Ausbildung in den Ateliers von Tony Robert-Fleury und Bouguereau fortgesetzt (Deutsche Biographische Enzyklopädie). In Zürich hat sie Mal- und Zeichnunterricht erteilt und eigene Bilder ausgestellt. Von ihr bekannt sind Stillleben, Landschaften und Porträts.
Zu Wladislaus Onufrowicz: https://pl.wikipedia.org/wiki/Wladislaus_Onufrowicz
Bei Sikart ist sie unter Roth, Jenny gelistet – ohne Bilder: http://www.sikart.ch/kuenstlerinnen.aspx?id=4026521
Jede weitere Information ist willkommen an: paulott (@) datacomm.ch
Ich kann weder ein Foto noch weitere Bilder von Jenny Roth finden. Dieses Stillleben (Titelvorschlag: "Nach der Wanderung") vom April 1894 bleibt also das einzige mir bekannte Gemälde.